Eine SPD, die mit eigenen Ideen überzeugt statt rechte Narrative aufzugreifen könnte gerade jede Wahl gewinnen

Die Nachwahlbefragungen aus Bayern und Hessen zeigen: Migration ist nicht das wahlentscheidende Thema, aber es ist vielen wichtig. Wichtiger aber für die Wähler*innen in beiden Ländern: die wirtschaftliche Entwicklung. Und auch Klima und Energie stechen Migration im Relevanz-Rating. Kurzum: Transformation bewegt Wähler*innen und gewählt wird, wer Orientierung bieten kann.

Das bedeutet auch: so „gute“ AfD-Ergebnisse, wie die gestern leider erlebten, müssen nicht sein.

Aber vor allem zeigt es: Obwohl die SPD gestern zweimal krachend verloren hat, könnte sie gerade auch deutlich gewinnen.

Ich will das erklären. Die SPD ist DIE Transformationspartei. Wirtschaftspolitik für die Vielen ist unser Ding. Vor allem in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Doch das ist aktuell eben zu wenig sichtbar. Eine völlig unnötige Schwäche. Drei Beispiele:

  • Deutschlandtempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien: Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ist Deutschland schnell unabhängig von russischen Energieexporten geworden, auch in dem wir gezeigt haben, wie schnell wir beim Bau von LNG-Terminals sein können. Das zeigt: es geht. Die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren ist mit der Ampel umsetzbar.
  • Gute Arbeit zusammen gestalten: Kurzfristig kann ein Brückenstrompreis für eine Entlastung in der energieintensiven Industrie sorgen, mittelfristig können die Unternehmen damit zu Standortgarantien gebracht werden. Dazu könnte sich die SPD mit ihrer Forderung nach Transformationsfonds, also Staatsbeteiligungen im Gegenzug für Investitionsprojekte, die sogar mit der Schuldenbremse kombinierbar wären, konstruktiv von der FDP absetzen. Und sie könnte sich für eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes einsetzen und verbindliche Mitbestimmung von Betriebsräten beim Klimaschutz ermöglichen und damit untermauern, dass sie nicht nur Partei der Arbeit, sondern auch Partei der grünen Arbeit ist.
  • Migration und Fachkräftemangel zusammen denken: Die SPD hat in der Bundesregierung das Fachkräfteeinwanderungsgesetz durchgesetzt. Weil es ohne Nettozuwanderung auf den Arbeitsmarkt nicht gehen kann, wenn die Babyboomer*innen in Rente gehen. Gleichzeitig braucht es weitere Maßnahmen im Kampf gegen den Fachkräftemangel: Einerseits zur Steigerung der Erwerbsarbeitsquote bei Frauen, andererseits zur Arbeitszeitsverkürzung. Die SPD sollte klar machen, dass sie bei der kommenden Bundestagswahl für die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich antritt und so einen neuen Narrativ setzen: Migration und Wohlstand gehören zusammen. Mal ganz davon abgesehen, dass Humanität als Wert unersetzlich für uns ist.

 

Mit diesem thematischen Dreiklang, den die SPD teilweise basierend auf bestehenden Ampel-Erfolgen und teilweise auf einer progressiven Abgrenzung von ihren Koalitionspartnerinnen vertreten kann, würde sie die aktuell drängendsten Themen eindeutig aufgreifen und eigenständige Sichtbarkeit für die Sozialdemokratie erzeugen – aber eben basierend auf ihrem Werteverständnis und ohne auch nur einen Funken des AfD-Narrativs zu übernehmen. Ich bin überzeugt: Damit hätten wir gestern deutlich bessere Ergebnisse erzielen, ja, sogar Wahlen gewinnen können.

Auch wenn klar ist, dass es kurzfristig bei der Integration eine Entlastung der Kommunen braucht. Also mehr Wohnungsbau und einen höheren Übernahmesatz bei den Kosten für die Unterkunft genauso wie einen weltoffenen europäischen Asylplan – ohne Lager und mit Seenotrettung. Aber die SPD muss ohnehin immer mehr als zu den wenigen aktuell bestimmenden Themen und zur aktuellen Tagespolitik sprachfähig sein. Neben dem Dreiklag braucht es darum auch mehr Sichtbarkeit für Gemeinschaftsschulen und Bürgerversicherung in unserem Programm und kurzfristig endlich die Umsetzung der Kindergrundsicherung.

Kurzum: das gestern tat weh. Vor allem weil es unnötig war. Aber die Konsequenzen müssen jetzt klar sein: Schluss damit, Narrative der Rechten zu übernehmen. Und auf die eigenen Stärken setzen. Denn wir Sozialdemokrat*innen haben die besseren Antworten. Und können nur (!) mit ihnen auch überzeugen.