Statt Pflichtjahr: Ein solidarisches Grundeinkommen wäre gerecht

Jedes Jahr im Sommerloch diskutieren wir über eine Dienstpflicht, ein Pflichtjahr oder ein Gesellschaftsjahr. Gemeint ist damit immer ein neuer, für alle jungen Menschen verpflichtender Zivildienst. Und ich glaube den Initiator*innen der Debatte, von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bis SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese, dass sie damit wirklich ein ehrenwertes Ziel verfolgen: Den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Das Ding ist: Dafür taugt ein Pflichtjahr nicht. Weil es die Lebensrealität vieler jungen Menschen verkennt: Verkürzte Schulzeit, knapp bemessene Regelstudienzeiten, Kinderarmut, Ausbildungsengpässe. Die Wahrheit ist: Jungen Leute engagieren sich bereits verhältnismäßig häufig ehrenamtlich, die anderen haben schlichtweg nicht die Möglichkeit dazu.

Wir müssen also über die Kindergrundsicherung, Gemeinschaftsschulen, die Umlagefinanzierung der Ausbildungsplatzgarantie, Azubi-Wohnheime und elternunabhängiges Bafög reden – Und das nicht nur im Sommerloch!

Und wir müssen anerkennen, dass auch “ältere” Menschen sich nicht immer gesellschaftlich engagieren. Bei erwerbstätigen würde eine Vier-Tage-Woche helfen, die Quote der Ehrenamtlich-Aktiven deutlich zu steigern. Oder Rentenpunkte fürs Ehrenamt. Bei Rentner*innen eine verbesserte Grundrente.

 

Was bedeutet Arbeit?

Doch ich finde, es lohnt sich darüber hinaus auch über den Arbeitsbegriff zu sprechen: Denn nicht nur Lohnarbeit ist Arbeit, auch Carearbeit, also Sorgearbeit zum Beispiel für Familienangehörige, oder eben gesellschaftliche Arbeit. Und die Art, wie wir als Gesellschaft insgesamt mit Arbeit umgehen, definiert uns als solche. Heißt: Wenn unser gesellschaftlicher Arbeitsbegriff – wie bislang – nicht Erwerbsarbeit umfasst, sind wir nicht so solidarisch miteinander, insgesamt nicht so sozial wie wir sein könnten!

Womit wir beim solidarischen Grundeinkommen wären. Die Idee: In gemeinnützigen Strukturen werden bezahlte Arbeitsplätze geschaffen, die Strukturen – zum Beispiel Sportvereine, KiTas oder Krankenhäusern – werden damit aufgewertet und Menschen bekommen eine Perspektive. In Berlin klappt das schon sehr gut.

 

Für die weitere Diskussion ist aber auch eine Abgrenzung von zwei anderen Begriffen nötig:

  • Zum einen zum Bürgergeld: Das ist die Hartz IV-Nachfolge und sichert erwerbslosen Menschen ihr Existenzminimum. Auch das muss gestärkt werden, es gehört ans sozio-kulturelle Existenzminimum angepasst und alle Sanktionen gehören abgeschafft.
  • Zum anderen zum sozialen Arbeitsmarkt: Das sind öffentlich-geförderte Arbeitsplätze für langzeiterwebslose Menschen, die so wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Eine wirklich gute Sache.

 

Gesellschaftliche Arbeit stärker anerkennen

Aber eben eine, die gut durch ein solidarisches Grundeinkommen ergänzt werden kann. Wenn man es GRÖßER DENKT!

Und zwar so: Menschen, die keine Erwerbsarbeit finden oder sich bewusst dafür entscheiden, sich stattdessen umfassend gesellschaftlich zu engagieren, sollten ein solidarisches Grundeinkommen bekommen. 

Voraussetzung wäre, dass sie sich pro Woche mindestens 20 Stunden engagieren. Zum Beispiel im Sportverein, als Kulturschaffende oder in der Pflege oder Betreuung von Angehörigen. Gerade bei uns in Wattenscheid-Mitte und -Westenfeld, wo es viele Vereine und viel Brauchtum zu pflegen gibt, könnte das echt helfen.
Dafür bekämen sie alle Leistungen des Bürgergeldes – und zwar garantiert sanktionsfrei – aber statt der 502€ mindestens 1.000€ monatlich, nämlich den vollen Mindestlohn für alle 20 Wochenstunden und zusätzlich pro Jahr einen Rentenpunkt. Damit sie nicht nur im Alltag gut abgesichert, sondern auch vor Altersarmut entsprechend geschützt sind.

Ich komme selbst aus vielen verschiedenen ehrenamtlichen Strukturen: War bei uns in Wattenscheid Jugendtrainer im Fußball, habe in einem Mehrgenerationenhaus Kinder trainiert, die ein Circus-Projekt mit Leben gefüllt haben, mache ehrenamtlich Kommunalpolitik und baue gerade mit REVOLTE einen Verein für Medienbildung und -politik auf.

Darum weiß ich, dass erfolgreiche ehrenamtliche Arbeit oft unterstützende hauptamtliche Strukturen erfordert, um wachsen zu können, weil sie die Ehrenamtler*innen beispielsweise von zeitaufwändigen organisatorischen Aufgaben, wie Förderanträgen oder Fahrdiensten entlasten können.

Und ich habe ein diverses familäres Umfeld, einen bunten Freund*innenkreis. Ich habe so selbst erlebt, dass auch die Pflege oder Betreuung von Angehörigen eine gesellschaftlich so relevante Aufgabe ist, dass wir diejenigen, die bewusst hier ihre Priorität setzen, Verantwortung übernehmen, dafür auch anerkennen und finanziell absichern müssen.

Das solidarische Grundeinkommen ist dabei explizit kein bedingungsloses Grundeinkommen, denn es verlangt eine Gegenleistung: Gesellschaftliches Engagement. Und das zurecht. Aber – und das ist mir genauso wichtig – es steht allen Leuten offen. Dafür braucht es dann in der Umsetzung dann flächendeckend Ehrenamtsagenturen und Beratungsstellen, die den Zugang niedrigschwellig für alle Interessierten ermöglichen.

Das solidarische Grundeinkommen würde unseren gesellschaftlichen Arbeitsbegriff neu definieren und uns als Gesellschaft damit sozialer machen. Und auch die Erwerbsarbeit würde profitieren: Denn wird gesellschaftliches Engagement attraktiver, müssen auch die Arbeitgebenden nachlegen, um keine Fachkräfte zu verlieren.

Vor allem aber würde die Selbstbestimmtheit aller Bürger*innen gestärkt. Und der gesellschaftliche Zusammenhalt, weil mehr Menschen sich bewusst für die Allgemeinheit engagieren würden, Angebote für Kinder schaffen, Kranke pflegen und Alte betreuen würden.

 

Ich finde das erstrebenswert.

Zumindest die Diskussion darüber lohnt sich. 

Zum Beispiel Weiterentwicklung der ewigen Pflichtzeit-Debatte.