Erhebliche Preissteigerungen in der Medikamentenversorgung destabilisieren Gesundheitssystem zusätzlich – Jan Bühlbecker: Die Pharmaindustrie gehört in öffentliche Hand

Intensivmediziner klagen über einen massiven Preisanstieg in der Corona-Krise bei wichtigen Medikamenten. Gernot Marx von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin erklärt, große Sorge bereiteten neben der Knappheit an Verbrauchsmaterialien auch Engpässe und massive Preisanstiege um teils das Zwanzigfache bei wichtigen Narkosemitteln.

Dies ist gerade mit Blick auf die steigende Zahl der Infektionen mit dem sogenannten Coronavirus‘ problematisch. Denn es wird durch den pandemischen Verlaufs dessen Ausweitung davon ausgegangen, dass bald die Anforderungen an intensivmedizinischer Versorgung zunehmend steigen werden. Folglich muss auch die medikamentöse Versorgung vorbereitet und sichergestellt werden.

 

Preisverzwanzigfachung erfordern sofort Obergrenzen oder Preisgrenzen für Pharmaprodukte

Die Möglichkeit, Kranke auf der Intensivstation zur Beatmung in „künstlichen Schlaf“ zu versetzen, könnte jedoch bald massiv eingeschränkt sein. Denn das Narkosemittel Propofol, bei dem es schon vor dem Ausbruch des Coronavirus‘ immer wieder zu Lieferengpässen gekommen sei, stehe nicht mehr ausreichend zur Verfügung, kritisierte Marx. Innerhalb weniger Tage habe sich der Preis pro Ampulle von einem auf mehr als 20 Euro erhöht: Das bedeutet, dass Narkosen von Notfallpatient*innen  gefährdet und die Möglichkeiten, Kranke auf der Intensivstation zur Beatmung in ‚künstlichen Schlaf‘ zu versetzen, bald durch Versorgungsengpässe oder mangelde Finanzierbarkeit eingeschränkt sein könnten.

Gleiches gilt für die Preisentwicklung bei Atemschutzmasken: Kosteten diese bis Mitte Februar stabil weniger als 50 Cent ist der Preis seitdem rasant angestiegen – mittlerweile kosten sichere Schutzmasken sogar bis zu 13,52€ wie die Tagesschau ermittelte.

„Für mich ist das eine inakzeptabele Entwicklung“, merkt für die SPD in Wattenscheid-Mitte und Westenfeld Jan Bühlbecker an, „das Versagen des unregulierten Marktes ist bezeichnend. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Versorgungssicherheit auf diese Weise beeinträchtigt wird. Im Gegenteil: Wir müssen jetzt schnell sicherstellen, dass das Narkosemittel in hinreichender Menge zu einem vertretbaren Preis verfügbar bleibt. Gleiches gilt für Schutzmasken. Dafür sollte der Bundestag so schnell wie möglich eine Preisobergrenze oder -bremse einführen und den Markt so massiv regulieren. Außerdem sollten hiesige Textilproduzenten angewiesen werden, ihre Produktion vorübergehend hierauf umzustellen. All dasas ist verfassungsrechtlich möglich und in der Krise auch kurzfristig geboten.“

 

Pharmaforschung und -industrie müssen in öffentliche Hand und es muss mehr Geld ins Gesundheitssystem

Der SPD-Kommunalpolitiker weiter: „Langfristig ist das aber noch nicht genug. Sowohl Pharmaforschung als auch Pharmaindustrie und die Versorgung mit Medizinprodukten gehören komplett in öffentliche Hand. Es ist zwar gut, dass Dietmar Hopp den Verkauf von CureVac an US-Präsident Donald Trump verhindert hat – Doch dass unser Gesundheitssystem in der letzten Woche damit de Facto von einem Miliadär abhänig war, war ein Denkzettel. Genauso ist es zwar lobenswert, dass viele Bürger*innen nun selbst Schutzmasken nähen, doch eigentlich sollte ihre Verfügbarkeit für die Allgemeinheit grundsätzlich garantiert sein. Ebenso ist es problematisch, als wie schwierig sich die Herstellung neuer Corona-Testmaterialien gestaltet. Die nun zusätzlich erfolgten Preisanstiege beim Narkosemittel Propofol und Schutzmasken zeigen, wie sehr der Markt im Zweifel auch in der Krise versagt. Das sollten wir nach der Krise korrigieren.“

Konkret schlägt Jan Bühlbecker vor: „Große Pharmafirmen und Medizinproduktehersteller*innen könnten entweder in die staatliche Verwaltung eingeglidert werden oder zugunsten einer stärkeren Beteiligung der Beschäftigten kollektiviert werden. Damit würde auch Wissenstransfer und Kompetenzbündelung gefördert und die Innovationskraft erhöht. So wäre auch eine bessere Kooperation mit der universitären Forschung und eine intensivierte europäische Zusammenarbeit möglich. Neben den Erhalt aller Krankenhäuser, die auch stärker öffentlich verwaltet werden sollten, bei gleichzeitiger Zentrumsbildung – so wie ich es schon länger und auch gegen erheblichen Widerstand beispielsweise von der Bertelsmann Stiftung vertrete – und einer zukünftigen Finanzierung von medizinischer Versorgung und Pflege über eine Bürgerversicherung sind dies wichtige Reformen um das Gesundheitssystem gerechter, effektiver und zukunftssicherer zu machen. Dann aber muss auch mehr Geld ins System: Die Bundesländer müssen den Investitionsstau bei den Krankenhäusern beseitigen und wir brauchen einen umfassenden Flächentarifvertrag für alle Pflegeberufe. Denn die Mitarbeiter*innen in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sind wie man gerade sieht systemrelevant!“