Bundestag berät über Organspende – doppelte Widerspruchslösung scheitert deutlich

Heute hat der Bundestag über die Zukunft der Organspende in Deutschland abgestimmt. Aber auf die von vielen – wie auch mir – erhoffte Reform verzichtet. Doch weil es ja dennoch ein Thema ist, das unser Leben und Sterben direkt betrifft, will ich die Diskussion kurz zusammenfassen.
Aktuell warten allein in Deutschland 9.000 Menschen auf eine akute Organspende. Hinzu kommen die Patient*innen, die zwar ein neues Organ bräuchten, aber nicht auf die Transplantationsliste aufgenommen wurden.

Zur Einordnung: In Deutschland sind zum Beispiel 90.000 Menschen dialysepflichtig, rund der Hälfte von ihnen könnte mit einem Spenderorgan geholfen werden. Dem gegenüber stehen jedoch leider zu wenige Menschen, die nach ihrem Tod zu einer Organspende bereit sind: Nach einem Anstieg 2018 ging die Zahl 2019 nämlich wieder zurück: Nur 932 Menschen spendeten nach ihrem Tod laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation insgesamt 2995 Organe. Am häufigsten wurden Nieren (1524), Lebern (726) und Lungen (329) gespendet.

Die Zahl der Organspender*innen ist in Deutschland wegen der hohen juristischen Hürden bislang so niedrig; so sind Organentnahmen heute nur bei einem Ja des oder der Patient*in zulässig. Durch diese einfache Zustimmungslösung müssen sowohl Patient*in zu Lebzeiten als auch die Angehörigen nach dem Tod einer Organspende ausdrücklich zustimmen. Man ist allerdings weder gezwungen, sich zu entscheiden noch wird man regelmäßig mit dieser Frage konfrontiert. Diese Zustimmung zur Organspende erfolgt zu Lebzeiten vor allem über den Organspendeausweis. Auf einem solchen können wir alle bequem angeben, ob wir zu einer Spende bereit sind, Einschränkungen vornehmen (also bestimmte Organe ausschließen) oder auch generell eine Organentnahme ablehnen. Jedoch hat nur jeder dritte Deutsche einen Organspendeausweis ausgefüllt.

Das führt zur geschilderten geringen Spendebereitschaft – übrigens insbesondere auch im europäischen Vergleich – obwohl sich in einer repräsentativen Umfrage rund 72% der Deutschen grundsätzlich positiv zu Organspende geäußert haben. Die Abgeordneten im Bundestag haben heute deswegen über zwei Alternativen zur bisherigen erweiterten Zustimmungslösung beraten:

– Zum einen die sogenannte doppelte Widerspruchslösung: Demnach sollen automatisch alle Bürger*innen als Organspender*innen gelten. In dem Fall, in dem keine Willensbekundung des beziehungsweise der potenziellen Spender*in vorliegt, sollen auch die Angehörigen befragt werden. Sie dürfen dabei aber nicht ihre eigene Meinung geltend machen, sondern werden ausschließlich gefragt, ob sie eine Meinungsäußerung des beziehungsweise der potenziellen Spender*in kennen. Konkret hieße das: Wer nicht widerspricht, ist Spender*in. Für die Widerspruchslösung spricht, dass sie die Zahl der Spendebereiten wohl am deutlichsten erhöhen wird, gegen sie allerdings, dass sie dafür den radikalsten Eingriff in die persönliche Freiheit der einzelnen Person vornimmt.

– Und zum anderen die erweiterte Zustimmungslösung: Kernpunkt dieses Vorschlags ist eine aktive Abfrage bei den Bürgern alle zehn Jahre – etwa bei der Verlängerung des Personalausweises. Hausärzte sollen zudem mindestens alle zwei Jahre über eine mögliche Spende beraten. Die Antworten sollen dann in einer zentralen Datenbank registriert werden. Gegner*innen einer solchen ausschließlichen Erweiterung des bisherigen Systems bezweifeln allerdings, ob dies zu einer hinreichenden Aufklärung über Organspende führt und so die Spendebereitschaft erhöhen kann, da Menschen auch weiterhin jede Aussage zu Organspenden ablehnen können.

Übrigens: Die Abstimmung im Bundestag war eine sogenannte Gewissensentscheidung, das bedeutet, dass die Abgeordneten frei und unabhängig ihrer Fraktionszugehörigkeit beraten und abgestimmt haben. Respekt und Fairness in der Debatte waren daher wirklich beeindruckend.

Hätte ich heute im Bundestag abstimmen 🗳 dürfen, ich hätte für die doppelte Widerspruchslösung gestimmt. Denn sie ist zwar eine Pflicht zur Entscheidung – aber keine Verpflichtung zur Spende. Den Eingriff in die persönliche Freiheit erlebe ich deswegen als vertretbar. Denn: Organspende rettet leben! Und zwar auch das eigene. Deswegen ist es fair von uns allen zu verlangen, sich zumindest einmal – und ausdrücklich unabhängig vom Ergebnis – mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Bei der doppelten Widerspruchslösung blieben schließlich auch Ablehnung und Einschränkungen selbstverständlich legitim. So handhaben es fast alle übrigen Länder in Europa unf einer aktuellen Umfrage, sieht das auch die Mehrheit der Bundesbürger*innen so.

Dennoch hat sich die Mehrheit der Abgeordneten heute anders entschieden. Ich bedaure das!

Doch ich sage auch: Das Thema bleibt wichtig. Und der Beschluss ist immerhin ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Jedoch: Einen angemessenen Umgang mit dem Thema Organspende zu finden liegt nun eben weiter mehr bei jedem und jeder einzelnen von uns: Besorgt euch einen Organspendeausweis, macht euch Gedanken zu eurem persönlichen Umgang mit Organspende und klärt Familie und Freund*innen über die verschiedenen Optionen auf dem Ausweis auf. Denn gemeinsam können wir Leben retten! Mit einem Stück Papier.