Über mehrere Jahre sorgte die neonazistische Terrorzelle „NSU“ für den Tod vieler in Deutschland gut integrierter Menschen mit Migrationshintergrund. Henriette Reker, die Oberbürgermeisterin von Köln, entrann während ihres Wahlkampfes nur knapp dem Tod als einen Tag vor der Wahl ihr ein fanatisierter Rechtsradikaler mit einem Messer in den Hals stach. Andreas Hollstein, Bürgermeister der Kleinstadt Altena, bekam 2017 ebenfalls ein Messer in den Hals gestochen, von einem aufgebrachten Flüchtlingshasser. Markus Nierth trat als ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Törglitz zurück, nachdem er aufgrund seines Engagements für eine Flüchtlingsunterkunft dutzende Morddrohungen erhalten hatte und Neonazis vor seinem Haus demonstrierten. Vor zwei Wochen wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke, der in der Asyldebatte ebenfalls mit progressiven Positionen auffiel, in seinem eigenen Garten aus nächster Nähe durch einen Kopfschuss getötet – mutmaßlich von einem militanten Neonazi. Und in dieser Woche fand die 28-järhige Horber Stadträtin Viviana Weschenmoser drei Pratonen im Briefkasten. Auch die SPD-Kommunalpolitikerin ist offen aktiv gegen rechts.
All diese Angriffe treffen immer einen Menschen – aber sie gelten allen Demokrat*innen, allen politisch Aktiven, allen Akteur*innen einer weltoffenen Zivilgesellschaft. Mir persönlich ist das bereits 2011 nach dem rechtsradikalen Terroranschlag von Utoya greifbar geworden. Viele andere Menschen überall in Deutschland erkennen ihr Engagement in anderen Taten wieder. Ihnen gilt meine Solidarität, damit sie ihren Einsatz für unsere Demokratie durchhalten können!
Die Strukturen des rechten Terrorismus ähneln dabei denen des Dschihads, in denen jeder Attentäter dort zuschlägt, wo er kann. Es ist ein metastasierendes Gewaltgebilde, das an vielen Stellen unvermittelt aufbrechen kann. Die Opfer all dieser und noch weiterer grausamer Taten werden so erst Mitten aus ihrem gewöhnlichen Leben gerissen und wurden anschließend auch noch im Internet offen von Rechten verspottet, wurden oftmals mit unzureichendem Einsatz staatlicher Behörden konfrontiert und mussten auch politische Scheindebatten über sich ergehen lassen. Es reicht! Wir dürfen keinen Tag länger zusehen, wie die politische Debatte in diesem Land verroht, Berufspolitiker*innen und Ehrenamtler*innen bedroht oder angegriffen werden und unser Staat und die Zivilgesellschaft ein zu wehrloses Bild abgeben. Wir brauchen einen demokratischen Aufbruch. Und den Mut sowohl bestehende Probleme beim Namen zu nennen als auch weiter für ein buntes Deutschland in Europa einzustehen.
Verrohung der Debatte
Das politische Klima dieser Republik hat sich verändert. Die AfD im Deutschen Bundestag und in den Länderparlamenten ist hierfür eine entscheidende Ursache. Sie hat mit der Entgrenzung der Sprache den Weg bereitet für die Entgrenzung der Gewalt. Leute wie Alexander Gauland oder Björn Höcke sind selbstverständlich mitschuldig an den oben beispielhaft genannten Fällen. Es wird darüber hinaus aber auch eine Spirale der Selbstradikalisierung eingesetzt, zu beobachten auch bei vormals demokratisch-orientierten Politiker*innen wie Erika Steinbach, Max Otto, Thilo Sarrazin, Boris Palmer oder Hans-George Maaßen und bei aktiven Politiker*innen u. a. in der Reihen der Union. Äußerungen wie die Forderung nach einer „Endlösung der Flüchtlingsfrage“ von Manfred Weber, die Behauptung einer „Herrschaft des Unrechts“ durch Horst Seehofer oder der Markus Södersche Sprech vom „Asyltourismus“ haben das Abdriften der politischen Debatte nach ganz weit rechts offen begünstigt. Wir müssen über Einwaunderung, Entwicklungszusammenarbeit und Asyl reden – aber respektvoll, den Menschen zugewandt und hilfsbereit.
Dies zeigt sich bei verschiedenen Demonstrationen, bei denen Galgen gezeigt werden oder absolutistische Ansprüche vorgetragen und die Legitimität unserer repräsentativen Demokratie in Zweifel gezogen wird. Begriffe wie „Volksverräter“ sind nicht nur schlimme Beleidigungen, nein, sie dienen auch als rethorische Entehrungsversuche, die spätere Gewalttaten in den Köpfen der Täter*innen und vieler, die anschließend in den sozialen Medien über die Opfer spotten, legitimieren. Die AfD muss wissen, welche Menschen sie damit anzieht und jede*r, der auf AfD-Demonstrationen mitläuft, Hetzkommentare liket oder teilt muss wissen, was er damit tut. Diese Verrohung der Gesellschaft, die durch moderne Kommunikationswege oftmals deutlich überproportional sichtbar wird, hat in diesen Tagen gezeigt, wozu sie fähig ist. Alle, die sich an ihr beteiligen müssen wissen, dass sie Blut an ihren Händen haben. Dies ist die wichtigste und forderste Erkenntnis aus den Taten.
Angst das Problem beim Namen zu nennen
Im Fall Lübcke wiegelten dann auch noch viele Polizist*innen zwei Wochen lang ab: Einen rechtsextremen Hintergrund dieser Tat könne man nicht erkennen. Es war ein schier unerträgliches Déjà-vu-Erlebnis: Auch den Familien der NSU-Opfer sagten Beamt*innen, sie sollten schweigen, statt haltlose Verdächtigungen gegen rechte Ausländerhassende in die Welt zu setzen. Rechte Mörder, die durch die Lande ziehen, gebe es in Deutschland nicht. Auch bei den Familien der NSU-Opfer suchte man nach privaten Motiven, nach Blutrache, Spielschulden, angeblichen Drogengeschäften. So wie nun im Fall Lübcke: Man suchte nach etwas privatem, vielleicht nach einem Skandal in der Vergangenheit des Opfers oder fragte sich, ob nicht vielleicht ein Freund des Sohnes verwickelt war, der ja als Sanitäter am Tatort gewesen ist? Das Naheliegende wollten manche Ermittler*innen auch hier nicht wahrhaben: Dass ein Politiker liquidiert wurde, weil er für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einstand. Dafür, dass er sich nicht wegduckte und Pöbler*innen sagte, sie könnten Deutschland ja verlassen, wenn ihnen die christlichen Werte dieses Landes nicht gefielen. Es dauerte unendlich lange drei Wochen bis der Generalbundesanwalt die Ermittlungen endlich an sich zog.
In der Bundesrepublik des Jahres 2019 gibt es aber offenbar noch ein weiteres Problem: Rechte Gewalttäter*innen scheinen Staatsbedienstete nicht mehr als Gegner*innen, sondern als potenzielle Verbündete zu begreifen. Und sie in manchen Fällen sogar zu haben. In internen Chats prophezeien rechte Verschwörer*innen, die Polizei werde im Ernstfall schon mit ihnen gemeinsame Sache machen – man müsse bei Attentaten nur den Verdacht auf die Linke lenken. Sie beziehen ihre Überzeugung nicht zuletzt aus den Krawallen von Chemnitz, wo die Polizei den Radikalen viel zu lange keine Schranken setzte. Es gibt weitere Zeichen: In Hessen, wo Walter Lübcke erschossen wurde, laufen allein 38 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten wegen rechtsextremistischer Umtriebe. Noch immer ist nicht geklärt, wer der Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız angedroht hat, ihre kleine Tochter zu ermorden – die Daten der Familie wurden aus dem Dienstcomputer einer Frankfurter Polizeiwache abgerufen, der Drohbrief war mit „NSU 2.0“ unterzeichnet. Die verdächtigen Beamten schweigen. Und in Sachsen machen Polizisten mit dem Namen der NSU-Terroristen Witze – als hätten die nicht die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet.
In diesem Jahr machten darüber hinaus Versuche einer Terrorzelle innerhalb der Bundeswehr schlagzeilen, die unter dem Decknamen Hannibal versuchten, eine faschistische Parrlellstruktur in der Armee aufzubauen. Weitere Rechtsradikale berichten immer wieder wie gut sie in die Bundeswehr integriert worden sein und dass ihre Kreise sie bewusst nutzen würden, um sich für ihren „Einsatz“ mit der Waffe ausbilden zu lassen. Erst seit diesem Sommer gibt es verpflichtende Hintergrundchecks für neue Soldat*innen. Es muss die vielen aufrechten Ermittler*innen und die demokratischen Soldat*innen zutiefst beunruhigen, was sich da tut. Denn um das klar zu sagen: Natürlich sind die aufrechten Demokrat*innen in den Institutionen in der klaren Mehrheit und selbstverständlich verdienen sie unsere volle Solidarität! Dennoch ist es wichtig, in der aktuellen Situation auch institutionalisiertes Versagen zu benennen.
Eine Politik, der falschen Vergleiche
Statt sich dem zu stellen, erleben wir in der öffentlichen wie auch in der politischen Aufarbeitung viel zu oft unhaltbare Vergleiche. Es scheint vielen nicht möglich zu sein, zu sagen, dass rechte Gewalt die schlimmste Gefahr für eine Demokratie ist ohne anschließend etwas über vermeintlich linke Gewalt zu ergänzen. Das relativiert die hier beschriebenen Verbrechen auf eine unerträgliche Art und Weise und diskreditiert ihre Opfer. Wer wie zum Beispiel Siemens-Chef Joe Kaeser nun von der schwerwiegensten politischen Mordserie seit der RAF oder wie die Journalistin Annette Ramelsberger gar einer „braunen RAF“ spricht, verdreht die Diemension des Problems genau so. Denn unser Problem – in einem Land, in dem Politiker*innen zurücktreten, weil sie Angst um ihr Leben haben, öffentlich agierende Personen für ihre Überzeugung angegriffen werden und Menschen, die für unsere Gesellschaft Verantwortung übernehmen sogar ermordet wurden – hat ganz offensichtlich einen Namen: Faschismus. (Und darüber sollten wir mal eine lange Debatte führen bis die gesellschaftlichen Trennlinien endlich klar nachgezogen sind und ein Bewusstsein für die Bedeutung des Wortes bei allen entsteht.)
Zeit für einen neuen, demokratischen Aufbruch
Denn die Zahlen sind längst bekannt. Der Verfassungsschutz kennt 25.000 Rechtsradikale, von denen er die Hälfte als gewaltbereit einstuft. Und diese sind längst nicht mehr nur bereit, sondern sie schreiten zur Tat. Darauf brauchen wir eine Antwort. Jens Stoltenberg hat hierfür nach den Anschlägen von Utoya die richtigen Leitlinien formuliert: „Ihr werdet unsere Demokratie und unsere Ideale für eine bessere Welt nicht zerstören. Niemand wird uns mit Bomben zum Schweigen bringen. Unsere Antwort auf Gewalt ist noch mehr Demokratie, noch mehr Menschlichkeit, aber nicht noch mehr Naivität. Das sind wir den Opfern schuldig.“ Wer die Demokratie verteidigen will, muss die Bürger*innenrechte, für eine weltoffene Gesellschaft eintreten. Eine Politik der offenen, der bunten Gesellschaft mag Rechte ärgern, doch natürlich legitimiert sie keine verbalen Entgleisungen, legitimiert sie keine Gewalt. Jeder Schritt, den die Politik auf Faschist*innen zu geht, ist also ein Schritt in eine fatal falsche Richtung. Wir müssen also gesellschaftspolitisch in die progressive Richtung steuern.
Auch Peter Tauber hat zum Kampf gegen den Rechtsradikalismus einen lesenswerten Gastbeitrag verfasst: „Nicht nur das bestehende Strafrecht muss angewendet werden. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben uns ein scharfes Schwert zum Schutz der Verfassung in die Hand gegeben. Es ist Zeit, von ihm Gebrauch zu machen. Im Artikel 18 unserer Verfassung ist festgeschrieben, dass derjenige entscheidende Grundrechte wie das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Eigentum oder auch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis verwirkt, der diese Grundrechte ‚zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht‘. Angewendet wurde die Verwirkungsvorschrift noch nie. Warum eigentlich nicht? Haben doch die Väter und Mütter des Grundgesetzes mit Artikel 18 dem Willen zur Selbstverteidigung der freiheitlichen Demokratie gegenüber ihren Gegnern Ausdruck verliehen. Artikel 18 verkörpert insofern neben dem Partei- und Vereinsverbot geradezu idealtypisch unsere wehrhafte Demokratie und gehört zu den tragenden Pfeilern unseres Grundgesetzes.“ Es geht dabei um eine Entpolitisierung, keine Entbürger*innenlichung unserer Feind*innen. In der Frage des Parteienverbotes stellt sich in Anbetracht der Tatsache, dass der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke NPD-Mitglied ist, die Frage, inwiefern die Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes, wonach die NPD für ein Verbot zu unbedeutend sei, aufrecht zu erhalten ist. Auch dieses Schwert darf gerne dahingend geschärft werden, dass Parteien ähnlich wie Vereine wenn sie Schlägertrupps ausbilden, verboten werden können.
Der Bundesrepublik muss zudem sich selbst und seine Organe schützen und frei von Verfassungsfeind*innen, nicht aber Verfassungsreformer*innen halten. Eine Möglichkeit hierzu ist, Angestellte und Beamte in einem klar geregeltem Verfahren aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen, wenn es begründete Zweifel an ihrer Verfassungstreue gibt. So könnte zum Beispiel das Soldatengesetz geändert werden, um Soldat*innennicht nur innerhalb der ersten vier, sondern in den ersten acht Dienstjahren entlassen zu können, wenn sie durch verfassungsfeindliches, ja meist rechtsradikales Reden und Handeln auffallen. Der besagte Franco A. darf heute ohne diese Änderung zwar keine Uniform tragen und bekommt nicht den vollen Sold, trotzdem konnte er nicht entlassen werden. Eine Reform des entsprechenden Dienstrechts könnte dies ändern. Anzuwenden auch im Landesrecht, um Lehern wie Björn Höcke an einer Rückkehr in den Schuldienst zu hindern.
Desweiteren arbeiten die Länder Thüringen und Sachsen an einer Reform des Versammlungsrechts. In Thüringen und Sachsen finden nämlich immer wieder Rechtsrockkonzerte statt, die als Versammlungen angemeldet werden und damit nur schwer verhindert werden können. Bundesweit Schlagzeilen machten vor allem die Festivals im sächsischen Ostritz und im südthüringischen Themar, zu denen in der Vergangenheit bereits jeweils mehrere Tausend Besucher*innen kamen. Es wurde dabei immer wieder gegen Auflagen verstoßen und Polizist*innen und Journalist*innen angegriffen. Solche Veranstaltungen sollen nun stärker unter das Gewerberecht fallen, damit sie – wenn von ihnen eine Gefahr für die Demokratie ausgeht – verboten werden können. Allerdings braucht es auch eine Neugründung des Verfassungsschutzes, da dieser bislang weder effizient noch sauber arbeitet.
Am wesentlichsten aber ist und bleibt die gesellschaftliche Trennschärfe nach rechts. Wir müssen die AfD auf allen Ebenen isolieren, müssen dem Hatespeech wo immer wir ihm begegnen entgegen treten und uns mit ihren Opfern solidarisieren. Wir brauchen eine politische Kultur, in der sich jede*r frei von Angst politisch engagieren kann! Und wir sind alle verpflichtet an einer solchen durch Zivilcourage mitzuarbeiten. Dafür sollte der alte Satz des Zentrumspolitikers Joseph Wirth wieder in Erinnerung gerufen werden: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“ Und im dafür anstehenden Kampf gilt auch der Satz Otto Wels‘: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre aber, die Ehre nicht!“ Freundschaft!