Mit Amos Oz hat die Welt gestern einen unermüdlichen Kämpfer gegen Antisemitmus, einen Vordenker auf dem Weg zum Frieden und einen wunderbaren Poeten verloren. Möge seine Erinnerung ein Segen sein.
Amos Oz ging seinen Weg und wusste schon früh um die schöpferische Verbindung von Kunst und Politik. Schon als Kind hängte er ein Schild an seine Tür: „Amos Klausner, Schriftsteller“. Und schon als Jugendlicher im Kibbuz legte er den Namen seiner russischstämmigen Eltern ab und nannte sich fortan Oz – das hebräische Wort für „Stärke“. Seine Mutter hatte sich da schon das Leben genommen.
Oz erlebte im zionistischen Elternhaus die mahnende Erinnerung an den Holocaust, auf den Straßen den Kampf gegen die Briten während der Mandatszeit, im Kibbuz die Furcht vor dem Krieg um ein von mehreren Seiten beanspruchtes Land – und dann die Kriege selbst, in denen er unter anderem in einer Panzereinheit diente und verwundet wurde. Seine eigene zionistische Überzeugung uns sein entschiedenes Eintreten für das Existenzrecht Israels begründete der Mitbegründer der Friedensorganisation Peace now, mit der er sich immer wieder auch kritisch auseinandersetzte, Jahre später so:
„Das Konzept von Zivilisationen, die über ihren Territorien Fahnen flattern lassen, kommt mir archaisch und mörderisch vor.
In der Hinsicht haben wir Juden jahrtausendelang vorgeführt, was ich gerne als die nächste Phase der Geschichte sähe: eine Zivilisation ohne territoriale Grenzen, beziehungsweise zweihundert Zivilisationen ohne einen einzigen Nationalstaat.
Aber als Jude kann ich mir solche Illusionen nicht mehr leisten. Ich habe zwei Jahrtausende ein Beispiel gegeben, doch niemand folgte.“
„Amos Oz hat sich um den Kampf gegen Antisemitismus und den Einsatz um das Existenzrecht Israels gleichermaßen verdient gemacht und dabei zurecht auch verdeutlich, dass beide Fragen zusammengehören. Es gibt keinen Kampf gegen Antisemitismus ohne die Räson, dass der jüdische Schutzstaat bestehen können muss“, würdigt der stellvertretende Vorsitzende der SPD in Wattenscheid-Mitte und Westenfeld, Jan Bühlbecker, der auch Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ist, das politische Wirken Oz‘. Und weiter: „Dabei hat Amos Oz sich auch für den Frieden stark gemacht. Und das sehr überzeugend und sehr nachhaltig in einer Region, in der der Einsatz für den Frieden oft auch mit unangenehmen Entscheidungen verbunden sein kann. Sein Lebenswerk ist die Verpflichtung sich selbst auch für den Frieden auf der Welt zu engagieren.“
Doch schon während seiner ersten politischen Erfahrungen im Kibbuz und als Teil der israelischen Armee und wohl auch in Anbetracht dessen, betätigte Oz sich sich auch schriftstellerisch. Freiräume für das eigene Schreiben erkämpfte er sich dabei wann immer er konnte: So schloss sich der Vater zweier Töchter aus Rücksicht auf seine Familie „in das winzige Bad ein, das in etwa die Größe einer Flugzeugtoilette“ hat ein, wie er 2008 verriet: „Ich setzte mich auf den heruntergeklappten Toilettendeckel und legte mir einen Band mit van-Gogh-Reproduktionen auf die Knie.“ Auf dem Kunstband schlug er sein Schreibheft auf. Auf engstem Raum entsteht so der Roman „Mein Michael„.
Jahre vorher entstand „Ein anderer Ort„. Sein erster Roman spielte vor dem Hintergrund realer Erfahrungen im Kibbuz. An den Kibbuz flossen seine Einnahmen, der Kibbuz sozialisierte ihn sozialistisch. Zu seinem schriftstellerischen Werk sagte er folgerichtig einmal:
„Lest Geschichten, liebe Freunde. Sie werden euch viel erzählen.“
In vielen anderen Werken – und ganz gleich, welches Genre er gerade wieder bediente, indem er dessen Grenzen verschob – tröpfelte die komplexe Realität des modernen Israel, so zum Beispiel die Angst vor dem nächsten Attentat, die Angst vor dem Krieg oder die Auseinandersetzung mit der Frage nach eigener Schuld. Auch dann, wenn es in seinen Werken um Alltägliches ging. Er interessiere sich, sagte er einmal, nicht für die Tragödie, sondern für „die Komödie der unglücklichen Familie„. Zu seinen bekanntesten Werken gehören unter anderem die „Geschichte von Liebe und Finsternis„, der Briefroman „Black Box„, „Ein anderer Ort„, „Unter Freunden“ und zuletzt „Judas„. Darin schildert er den angeblichen Verräter Christi als dessen loyalsten Jünger; wieder ein Blickwechsel, wieder eine Erkenntnis.
Jan Bühlbecker: „Amos Oz war mehr als ein Geschichtenerzähler. Er vermochte es wie wenige andere Realitäten abzubilden, Gefühle und Erinnerungen zu abstrahieren und beim Wandel durch die Genre seine Erzählungen mit vielen Menschen auf unterschiedliche Weisen zu teilen – Ohne sich von einer Seite vereinnahmen zu lassen. Seine Werke erzälen dabei von seiner Kompromissbereitschaft, seiner Leidenschaft für die Literatur und der Entschlossenheit, sich auch in widrigen Umständen auf das eigene Schaffen zu konzentrieren. Wo ein Wille ist, da sind auch Worte. Seine Bücher und Bände geben ihren Leser*innen deswegen stets mehr als Unterhaltung: Sie spenden Inspiration. Und für diese bin ich ihm sehr dankbar.“
Gestern Abend ist Amos Oz an den Folgen seiner Krebserkrankung im Kreise seiner Familie im Schlaf gestroben – Wie seine Tochter auf Twitter mitteilte. Er blickte auf ein beeindruckendes Leben zurück. Möge seine Erinnerung ein Segen sein.