Die letzten beiden Landtagswahlen in Bayern und Hessen waren für die SPD unangenehm, nein, brutal schmerzhaft – Und das nur bedingt wegen den Ergebnissen auf Landesebene. So sehr ich hinter Natascha Kohnen und ihrer bayrischen Sozialdemokrtie mit ihrem linken Profil und ihrem verantwortungsbewussten Haltungswahlkampf gestanden habe und so sehr ich der HessenSPD und insbesondere Thorsten Schäfer-Gümbel, der eine geniale Kampange umgesetzt und einen klaren, progressiven Plan für Hessen vorgelegt hatte, ein besseres Ergebnis gewünscht hätte: Die Ergebnisse in Bayern und Hessen waren in etwa so weit weg vom Bundestrend der SPD wie sie es auch bei den Wahlen der letzten Jahrzehnten zumeist gewesen sind. Das zeigt: Unter den aktuellen bundespolitischen Umständen kann die SPD im Prinzip nirgendwo eine Wahl gewinnen. Und diese Erkenntnis schmerzt brutal – Und zwar für die vielen Mitglieder von Fraktionen im Bund, in den Ländern und auf kommunaler Ebene, für die Genoss*innen, die für ihre Partei auch in Regierungen Verantwortung tragen. Und das ist ein Zustand, den wir als SPD nicht länger hinnehmen können.
Die Bürger*innen haben ihr finales Urteil über die GroKo gesprochen
Die Analysen zur Landtagswahl in Hessen zeigen ähnlich wie schon die Befragungen in Bayern vor zwei Wochen: Die Bürger*innen haben ihr finales Urteil über die GroKo und insbesondere über die Rolle der SPD in diesem Bündnis gesprochen. 79% der Wähler*innen können aktuell kein zentrales Thema, keine grundlegende Richtung erkennen, für welche die Sozialdemokratie aktuell steht. Und ganze 63% raten ihr sich in der Opposition zu erneuern. Und auch nur 13% der Wähler*innen haben den Eindruck das die notwendige Erneuerung der Partei aktuell gut voran komme. Der einzige Trost: 82% der Befragten wünschen sich, dass es mit der SPD wieder aufwärts geht. Quelle all dieser Umfragen ist InfratestDimap, das Wahlforschungsinstitut der ARD.
Und das liegt an zwei Punkten. Zum einen ist es eine nachvollziehbare Tendenz im bestehenden GroKo-Marathon. Insbesondere eine progressive Kraft verliert einfach an Sichtbarkeit wenn sie über so viele Jahre in einer Juniorinnenpartnerschaft gefangen ist. Und zum anderen hat schwarz-rot in einem katastrophalem ersten halben Jahr einfach zu viel Vertrauen verloren. Wir sind unglücklich reingestolpert und haben dann erlebt wie dieser Regierung erst ein Streit über fünf Menschen am Tag an der bayrischen Grenze und anschließend ein Konflikt über einen Behördenleiter angezettelt wurde. Das hat jede inhaltliche Arbeit und damit auch den Einsatz vieler SPD-Minister*innen und Parlamentarier*innen, die von vielen wirklich progressiv, zielorientiert und einsatzbereit war, in dieser Konstallation unwiderbringbar überschattet.
Ein vorsichtiger Fahrplan, wie ihn Andrea Nahles und Lars Klingbeil gestern Abend angekündigt haben, kann keine Kehrtwende mehr bringen. Wenn die aktuelle Regierungskonstellation noch eine Chance haben möchte, dann müsste sie eine radikale Kehrtwende schaffen: Der Einstieg in den sozialen Arbeitsmarkt, der Beginn einer grundsätzlicheren Rentenreform und ein klar strukturiertes aber zugleich weltoffenes Einwanderungsgesetz müssten noch in diesen Jahr auf den Weg gebracht und bis zur Sommerpause 2019 umgesetzt werden. Hans-Georg Maaßen müsste noch in dieser Woche abgelöst und auch wichtige Positionen in der Regierung, unter anderem die Position des Bundesinnenminister, neu vergeben werden. Nur dann wäre ein Neustart der Großen Koalition inhaltlich, organisatorisch und personell glaubwürdig.
Und es ist an der SPD diese Forderungen jetzt klar zu bennen und mit hoher Glaubwürdigkeit zu verbinden. Nur so könnte die Sozialdemokratie ihr Verhältnis zur GroKo klären und gleichzeitig eine Trennschärfe zur Union herstellen. An dieser läge es dann auch, ob sie bereit ist, den Neustart mitzutragen – Andernfalls setzte so die SPD den Wähler*innenwillen – auch inhaltlich begründet – um.
Die Sozialdemokratie hat einen gesellschaftlichen Auftrag – Und sie muss sich und ihren Anhänger*innen diesen endlich wieder klar machen
Es ist immerschon die Aufgabe der SPD und ihrer Vorgängerorganisationen gewesen, deutlich zu machen, dass eine freiere, gerechtere und solidarischere Gesellschaft möglich ist und wie ein demokratisch legitimierter Weg zu ihr aussehen könnte. Eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleich sind an Chancen und Rechten und frei sind diese Möglichkeiten selbstbestimmt umzusetzen. In der Praxis heißt das heute zuallererst das Einfordern einer stärkeren europäischen Einigung in Demokratie, Freiheit und Weltoffenheit. Und dabei übrigens auch eine fairere Entwicklungszusammenarbeit. Mit Katarina Barley verfügt die SPD über eine Spitzenkandidatin zur Europawahl deren Position innerhalb der Partei wir deswegen zwingend stärken müssen.
Es heißt in der Praxis aber auch, dass wir unser sozialpolitisches Profil schärfen müssen. Wir brauchen flächendeckend kostenlose öffentliche Daseinsvorsorge, also kostenlose Bildung und Weiterbildung, kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr, eine echte Bürger*innenversicherung, moderne Infrastruktur und gut ausgestattete Kommunen. Wir brauchen eine Lösung für die Wohnraumkrise und eine Kindergrund- und Altersabsicherung, die in beiden Fällen in allen Konstellationen Armut fundamental verhindert und ein solidarischeres Steuersystem mit Vermögens- und reformierter Erbschaftssteuer, die superreiche an der Finanzierung dieser Punkte beteiligt. Wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt, ein solidarisches Grundeinkommen, eine faire Bezahlung sozialer Berufe und sogenannter Care-Arbeit und vor allem brauchen wir eine Finanzierung dieser Punkte, die die unmittelbaren unternehmerischen Digitalisierungs-Gewinnerinnen unmittelbar zur Kasse bittet. Und wir brauchen als vierten Punkt endlich auch SPD-eigene Antworten auf die beginnende Klimakrise und ökologischen Herausforderungen, die soziale und grüne Fragen miteinander verbinden.
Die inhaltliche Erneuerung mit Debattencamp, Themenforen, vor allem aber mit der Stärkung der Arbeitsgemeinschaften in den Gliederungen, muss also endlich an Fahrt aufnehmen und sie muss eine klare Fahrtrichtung aufzeigen – nach links. Denn: Globalisierung, Digitalisierung und Automatisierung aber auch Migration und Klimakrise sorgen dafür, dass wir heute mehr und nicht weniger Sozialdemokratie brauchen.
Präsens und Sprache: Wo wir auch noch besser werden müssen
Nach dem Dezember-Parteitag der SPD im letzten Jahr gab es eine kurze Debatte darüber, dass die SPD Ostdeutschland in ihrer Spitze und in ihrem Vorstand viel zu wenig repräsentiert. Mit Manuela Schwesig gehört nur ein*e Politiker*in aus den neuen Bundesländern dem Parteipräsidium an, aus dem Osten stammen darüberhinaus nur sechs weitere Mitglieder des Parteivorstandes. Zum Vergleich: Der größte SPD-Landesverband, NRW, stellt acht Mitglieder in diesem Gremium insgesamt. Und auch in der Fläche ist die SPD in den neuen Ländern unterrepräsentiert, was natürlich auch auf die nachvollziehbar schwächere Mitgliederstruktur zurückzuführen ist. Wenn das aber zur Folge hat, dass die SPD in vielen Städten keine stetig besetzten Bürger*innenbüros anbieten kann, kann ihr hier auch keine Trendwende gelingen. Wir brauchen in der Folge im Zuge der organisatorischen Erneuerung hier ein Konzept, wie es uns gelingen kann, diesen Bock umzustoßen.
Der skizzierte GroKo-Frust und die erkannbare Profillosigkeit der SPD sind auch auf kommunikative Schwächen zurückzuführen. Unklare Begriffe wie Spurwechsel oder doppelte Haltelinie sind Eckpunkte des SPD-Wordings gewesen, negative Frams wie Flüchtlinge wurden übernommen und insgesamt viel zu oft auf Begriffe der anderen reagiert statt selbst die Debatte zu prägen, der überall zu spürende Rechtsruck ist also auch eine Folge davon, dass wir wie zuletzt im Sommer mitgeholfen haben unbedeutende Debatten zu überhöhen und uns haben treiben lassen statt ein ganzheitliches Gegenkonzept – auch in der Sprache – umzusetzten. Nicht das wir uns missverstehen: Inhaltlich hat sich die SPD und haben sich SPD Politiker*innen ganz ausdrücklich nicht auf das Nievau von Horst Seehofer, Markus Söder oder Jens Spahn herab gelassen, sprachlich ist es uns aber nicht gut genug gelungen, ihnen unsere begründete Erzählung entgegenzustellen.
Für mich steht deswegen fest: Die organisatorische Erneuerung hängt daran, ob es uns gelingt, unsere Repräsentanz insbesondere da, wo Strukturwandel den Leuten weh tut, zu erhöhen. Und die strukturelle Erneuerung steht und fällt nicht mit einer neuen App oder moderneren Parteitagen – auch wenn beides sicher sinnvoll ist – sie steht und fällt mit der Frage, ob wir es schaffen die kommunikativen Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzunehmen und umzusetzten.
Dieser Tag wird in die bundesdeutsche Politikgeschichte eingehen – Die Frage noch ist wie
Die gute Nachricht: An der Klippe standen wir gestern. Als die JUSOS nach dem Scheitern der Sondierungen zwischen CDU, FDP, Grünen und CSU ihre #NoGroKo-Kampange vorstellten, waren das Logo der Pressekonferenz zwei Bergsteiger, die sich an einer Klippe hochziehen. Die schlechte Nachricht: Heute sind wir einen Schritt weiter.

Heute Morgen hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt den CDU Vorsitz in rund sechs Wochen aufzugeben. Nach über achtzehn Jahren wird das ein echter Wendepunkt. Doch auch für die SPD gibt es – und das offensichtlich vor allem auch neben der Fragen, wer die Sozialdemokratie anführt – die Möglichkeit, nein, die Notwendigkeit den 29. Oktober 2018 zu einem Tag des Aufbruchs werden zu lassen. Ich hoffe sehr, das kriegen wir hin!